Im Musikzimmer von Schweizer Komponistinnen
4 Schweizer Komponistinnen geben Einblick in ihr Schaffen.
Ein Fotoprojekt zur Sichtbarmachung von Komponistinnen (2019)
Stephanie Haensler
“Tag für Tag” für Sextett (2018)
Windstill seit Tagen. Ein messerscharfer Horizont schneidet und scheidet Wasser und Himmel. So weit das Auge reicht immer nur diese Linie. Tag für Tag die selbe marternde Stille, bewegungslos: ein gleissender, blinder Spiegel. Die einzige Abwechslung kommt im Schlaf, wenn sich, in fremden Stimmen, der Traum vor die Wirklichkeit schiebt. Flucht und Zuflucht, Trost, Erinnerung und Vorahnung. Und doch, immer wieder, wird es Tag. Genauso wie zuvor. Gestern – heute – morgen: Eine Zeit existiert nicht länger, wo die grösstmögliche Weite zum Gefängnis wird. // No wind for days now. A knife-sharp horizon slices and separates water and sky. As far as the eye can see, only this line. Day by day the same martyring silence, motionless: a glistening sightless mirror. The only variation comes in sleep, when – in strange voices – the dream overtakes reality. Flight and refuge, solace, memory and foreboding. And yet another day dawns. Exactly as the one before. Yesterday – today – tomorrow: time ceases to exists when infinite expanses become a prison.
Annette Schmucki
ein wort aus drei buchstaben, vor- und rückwärts zu lesen. die kassetten damals, das ungefähre zurückspulen, ein gefühl für die rückspuldauer jedes begehrten liedes, bis dieses wieder beginnen würde. die kleinen filzstiftstriche markieren den geschätzen anfang des lieblingslieds. viel später dann der repeat-one modus des cd-players: hundertmal der selbe track, wenn niemand zu hause ist. jeder popsong ist verkörperung des repeat-one, spielt mit wiederholungen, loops, patterns. bruchlos, ohne entwicklung, eigentlich ereignislos. eine stimmung wird behauptet. das ist wenig, das ist zu viel. das ist alles. // reading a three-letter word forwards and backwards. the tape back then, rewinding approximately the same thing, a feel for how long it took to rewind that popular song until it would begin again. the little felt-tip pen dashes marking the hallowed beginning of the favorite song. then, much later, repeat-one mode on the cd player: the same track a hundred times, when no one else is home. every pop song is the embodiment of repeat-one, plays with repetition, loops, patterns. endless, without development, as a matter of fact uneventful. a mood is asserted. this is little, it is too much. that’s all.
Margrit Schenker
Mit Musik und Malerei wird gemeinsam ein Zeitraum ausgeschritten, in dem alle in ihrem Medium miteinander kommunizieren, eigenständig und zugleich einander beeinflussend. Es entstehen Bilder und Musik, ein Gespräch, wo verschiedene Wirklichkeiten über-, neben-, unter-, gegen-, und ineinander verwoben werden. // Together, music and paintings measure a specific space and time in steps, one in which everyone can communicate with one another in their own medium, independent and yet mutually influencing one another. The results are images and music; a dialogue in which differing realities are enmeshed, contrasted, incorporated, and woven into one another.
Mit freundlicher Genehmigung von Valentin Vecellio, Label VeSuV, Zürich
Esther Flückiger
„Uninhabited soul tarantella“ aus der Komposition „Verso Nikà“, setzt sich mit dem Thema der Migration auseinander. Die „unbewohnte Seele“ erklingt in einem aufsteigenden, sinnlichen Thema in fragmenthafter Aussage und führt in eine Tarantella. Durch den wilden Tanz gerät der migrierende Mensch in eine völlige Erschöpfung und kann Vergangenes abwerfen und in einer neuen Heimat die Möglichkeit eines Neubeginns haben. Die unbewohnten Seele wird geöffnet und hat Raum für Neues. // “Uninhabited soul tarantella,” from the composition Verso Nikà, deals with the subject of migration. The “uninhabited soul” resounds in a rising, sensual theme of fragmented statements that leads into a tarantella. Through this wild dance, the person in migration takes on a totally new form, one that can cast off the past and has the possibility of a new beginning in a new land. The uninhabited soul is opened and offers space for something new.
©PIANOVERSAL 2018 / Album PV 103 «Verso Nikà» mit freundlicher Genehmigung der PIANOVERSAL GmbH, www.pianoversal.com
© Katja Schmidlin



